Dr. Heimeier Executive Search
Gründe und Ursachen abnehmender Kandidatenverbindlichkeit
24. Oct 23
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Gründe und Ursachen abnehmender Kandidatenverbindlichkeit in den verschiedenen Phasen eines Rekrutierungsprozesses

 

„Verbindlichkeit“ ist qua Definition eine soziale Norm, häufig wird Sie gar als Tugend angesehen. In Zeiten, in denen über einen verschiedene gesellschaftlichen Bereiche betreffenden moralischen Verfall diskutiert wird, stellt sich daher unweigerlich die Frage, wie es um die Verbindlichkeit im Allgemeinen, aber insbesondere auch im Speziellen bestellt ist. An dieser Stelle sei auf die abnehmende Verbindlichkeit von Teilnehmenden in Personalauswahlverfahren eingegangen:

Viele Personalverantwortliche, Berater oder Recruiter werden es kennen: Beim routinemäßigen Öffnen des E-Mail-Postfachs sucht man vergeblich nach einer erwarteten Nachricht. Während dies früher eher die Ausnahme, denn die Regel war, scheint sich das Verhältnis inzwischen umgekehrt zu haben. Zwar ist die Quote verbindlich angekündigter Rückmeldungen unter Berücksichtigung einer gewissen zeitlichen Verzugstoleranz insgesamt nach wie vor relativ hoch, die Anzahl gänzlich ausbleibender Feedbacks hat sich in den vergangenen Jahren allerdings merklich erhöht. Die abnehmende Verbindlichkeit bezieht sich dabei mittlerweile nicht mehr ausschließlich auf die Frühphasen eines Rekrutierungsprozesses, sondern erstreckt sich vielmehr bis in die finalen Gesprächsrunden, denn auch schwarz bleibende Monitore auf Kandidatenseite bei virtuellen Vorstellungsterminen sind längst keine Einzelfälle mehr.

Doch woran liegt diese abnehmende Verbindlichkeit? Wieso fühlen sich viele Kandidaten nicht mehr an Absprachen oder vereinbarte Termine und Fristen gebunden? Im Folgenden möchte ich zunächst auf ausbleibende Rückmeldungen im Zuge der Kandidatenanbahnung eingehen, bevor ich mich im Anschluss auf die abnehmende Verbindlichkeit in bereits fortgeschrittenen Auswahl- und Rekrutierungsprozessen beziehen werde.

 

Ausbleibende Rückmeldung im Anbahnungsprozess

In diesem Kontext spielt zuvorderst die steigende Bedeutung sozialer Netzwerke wie LinkedIn oder Xing im Active Sourcing Prozess eine Rolle. Während der erste Kontakt in der Vergangenheit in aller Regel telefonisch erfolgte, ist dies in besagten Netzwerken mit wenigen Klicks auch schriftlich möglich. Aufgrund des fehlenden, persönlichen Bezugs zum Absender fühlen sich die Empfänger bereits in dieser Phase nicht zu einer Replik verpflichtet, sondern verstehen eine ausbleibende Rückmeldung wie selbstverständlich als Ausdruck fehlenden Interesses. Doch wäre es nicht auch des Anstands willen notwendig, sich zumindest in aller Kürze zurückzumelden? Auch hier ist eine genauere Betrachtung nötig, um die Verhaltensweisen aus Kandidatenperspektive nachvollziehen zu können: 

Aufgrund der niedrigschwelligen Möglichkeit zur Kontaktaufnahme werden im Zuge eines Active Sourcing Prozesses heutzutage eher zu viele, als zu wenige Kandidaten angesprochen, worunter bisweilen auch die Zielgenauigkeit in der Ansprache leidet. Dadurch, dass Personen vielfach für unpassende und nicht ihrem Profil entsprechende Vakanzen kontaktiert werden, nimmt die Bereitschaft, sich auf jede Anfrage zurückzumelden, kontinuierlich ab.

Trägt also die Art und Weise der Kontaktaufnahme zu einer abnehmenden Verbindlichkeit bei? Es liegt zumindest im Einflussbereich des Kontaktsuchenden, die Wahrscheinlichkeit einer Rückmeldung zu erhöhen. Ausschlaggebend hierfür ist stets eine wertschätzende, professionelle und vor allem zielgenaue Kontaktaufnahme. Im Einzelnen sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:

  • Klare und prägnante Kommunikation: Es muss sichergestellt werden, dass die Kontaktaufnahme klar und präzise erfolgt. Dabei ist es wichtig, alle relevanten Informationen über die Position und über das suchende Unternehmen darzulegen.

  • Personalisierung: Die Kandidaten müssen erkennen, dass sich mit ihrem Profil auseinandergesetzt wurde und das Interesse an einem persönlichen Austausch besteht. Allgemeine Phrasen sollten vermieden und stattdessen spezifische Aspekte hervorgehoben werden, wie zum Beispiel konkrete Passungen zwischen Kandidaten- und positionsspezifischem Anforderungsprofil.

  • Wertschätzende und professionelle Ansprache: Die Ansprache sollte stets positiv, höflich und professionell erfolgen. Aggressive oder drängende Töne, die Kandidaten abschrecken könnten, gilt es zu vermeiden. Bei jeder telefonischen oder schriftlichen Kontaktaufnahme sollte die Wertschätzung für den Kandidaten und sein Potenzial für die Position zum Ausdruck gebracht werden.

  • Follow-Up: Sobald eine Kontaktanbahnung erfolgt ist, gilt es diese konsequent nachzuverfolgen. Das Senden wertschätzender Erinnerungsnachrichten oder ein freundliches, telefonisches Nachhaken nach einer angemessenen Wartezeit wirken nicht aufdringlich, sondern verdeutlichen vielmehr die Ernsthaftigkeit des Interesses an der Person.

Die Bereitschaft zu einer Rückmeldung hängt letztlich von verschiedenen Faktoren ab und lässt sich auch bei Umsetzung der Handlungsempfehlungen nie garantieren. Nichtsdestotrotz liegt es im Einflussbereich des Kontaktsuchenden, die Adressaten durch eine professionelle und wertschätzende Kommunikation zu einem Feedback zu bewegen.   

 

„Ghosting“ in bereits fortgeschrittenen Auswahlverfahren

Auch hier sind die Ursachen für die zu beobachteten Veränderungen vielschichtig. Der Wandel des Arbeitsmarktes hin zu einem Arbeitnehmermarkt spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Konnten Unternehmen und Personalberatungen in der Vergangenheit insbesondere bei der Besetzung von Führungspositionen aus einem Fundus gut qualifizierter und geeigneter Kandidaten schöpfen, lässt sich hier gegenwärtig ein Paradigmenwechsel erkennen: Aufgrund des demographischen Wandels und dem damit einhergehenden zahlenmäßigen Rückgang an verfügbaren personellen Ressourcen können heute allen voran gut ausgebildete Arbeitnehmer aus einer Vielzahl von attraktiven beruflichen Optionen wählen. Dieser Umstand verleitet dazu, Gespräche ohne ernsthaftes und nachhaltiges Interesse zu führen. Die Kandidaten nutzen vielmehr die Gelegenheit, ihren eigenen Marktwert zu prüfen und vor allem auch finanzielle Benchmarks zur eigentlichen Wunschposition einzuholen. Hierbei spielt auch die Verlagerung vieler Interviews in digitale Räume eine Rolle, denn während für die Teilnahme an persönlichen Gesprächen häufig eine weite Anreise und eine entsprechende logistische Vorbereitung vonnöten ist, besteht diese Notwendigkeit bei virtuellen Gesprächen nicht, sodass diese ohne größeren Aufwand und in Zeiten von mobilem Arbeiten auch zeitlich sehr flexibel geführt werden können.

Die hieraus resultierende Möglichkeit einer weitgehend digitalen Kommunikation und die damit einhergehende, wahrgenommene Anonymität im Austausch sorgen bisweilen dafür, dass keine persönlichen Bande entstehen und die wahrgenommene Vertrautheit zwischen den Gesprächspartnern zunehmend abnimmt. Doch was genau kann getan werden um dieser Entwicklung entgegenzutreten? Verbindlichkeit und Vertrautheit impliziert Verlässlichkeit und genau hier gilt es anzusetzen: Es muss gelingen, den gesamten Prozess so zu moderieren und zu steuern, dass sich die Kandidaten fortwährend gut betreut fühlen. Ausschlaggebend hierfür ist eine stete und transparente Kommunikation: Regelmäßige Updates zum Projektfortschritt, offene Feedbacks an welchen Stellen es im Prozess hakt und wo es ggf. fachliche oder persönliche Bedenken gibt: Die sogenannte „360 Grad-Betreuung“ sorgt für ein gutes Gefühl auf Kandidatenseite, denn es wird erkannt, dass ihre Bedürfnisse während des gesamten Prozesses eine angemessene Berücksichtigung finden.

Empathie, Vertrauenswürdigkeit und Transparenz auch in virtuellen Gesprächen sind demnach von größter Bedeutung, denn nur dann kann es gelingen, Vertrautheit zwischen den Interviewpartnern zu erzeugen und somit die Schwelle zur Bereitschaft sogenannten „Ghostings“ auf Kandidatenseite zu erhöhen. Von enormer Bedeutung ist es dabei, dass die Verlässlichkeit nicht endet, sobald ein Kandidat für eine konkrete Position nicht mehr in Frage kommt. Im Sinne einer auf Vertrauen beruhenden, langfristigen Bindung ist es elementar die Transparenz und Kommunikation auch über die Dauer des auf eine Position bezogenen Auswahlverfahrens hinaus aufrecht zu erhalten. 

Geschrieben von

Jonas Wagner
Düsseldorf
Seit 2021 Consultant bei Dr. Heimeier Executive Search
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